Der Standard – 13.10.2021
Von der Theorie zur Praxis: Tipps für die Gehaltsverhandlung
In der Theorie gibt es viele gute Tipps für richtiges Verhandeln. Wie Sie diese in der Praxis umsetzen können, verrät Gehaltsexpertin Martina Ernst
Für viele fühlt sich die nächste Gehaltsverhandlung in der Firma an, als müssten sie zum Zahnarzt gehen. Expertin Martina Ernst gibt Tipps für die Praxis.
Es ist sehr spannend, Bücher der großen Verhandlungsgurus Roger Fisher und William Ury (Begründer des Harvard-Konzepts), Chris Voss, ehemaliger Verhandlungsführer des FBI, und Matthias Schranner, ebenfalls ehemaliger Verhandlungsführer mit Geiselnehmern, zu lesen – und man erfährt eigentlich alles, um den Rest seines Lebens jegliche Verhandlungssituation erfolgreich zu meistern.
Und doch fühlt sich die nächste Gehaltsverhandlung in der Firma für viele an, als müssten sie zum Zahnarzt gehen. Und man fragt sich, welche dieser großartigen Ratschläge soll man anwenden – und wie genau? Sechs Tipps aus der Theorie für die Praxis:
1. Timing
Viele Unternehmen erstellen im August oder September die Grundlagen für das Budget des Folgejahres und planen folgerichtig auch die Kosten für mögliche Gehaltserhöhungsrunden im darauffolgenden Frühjahr. Das heißt, der Herbst ist ein guter Moment, um mit der Führungskraft einen Termin zu fixieren und über die gemeinsamen Ziele fürs Unternehmen zu sprechen.
2. Beziehung aufbauen
Wer den Menschen im Chef sieht, tut sich viel leichter in den Terminen mit den Vorgesetzten. Was uns Menschen eint, ist nämlich der Wunsch, geliebt und als Person respektiert zu werden. Wir alle sind viel weniger rationale Wesen, als wir glauben.
Das heißt, bevor man über das eigentliche Thema spricht, sollte man ein positives, vertrauensvolles Verhältnis zur Gesprächspartnerin aufbauen, idealerweise nicht erst während des Termins, sondern ab dem Moment der Zusammenarbeit. Also ruhig mal die Vorgesetzten aktiv bitten, mit ihnen und dem Team gemeinsam Mittagessen zu gehen, eventuell nach Urlaubszielen, Hobbys oder Kindern fragen und vor allem während der Business-Meetings aktiv teilnehmen.
3. 7/38/55-Regel beherzigen
UCLA-Professor Albert Mehrabian fand in zwei Studien heraus, dass nur sieben Prozent der Message durch Worte, 38 Prozent durch die Stimme und 55 Prozent durch Gesichtsausdruck und Körpersprache vermittelt werden.
Was heißt das für den Termin? Ausatmen und so ruhig wie möglich bleiben, denn Nervosität überträgt sich schnell auf den ganzen Körper. Und eigentlich gibt es keinen Grund für Stress, denn wenn man das Unternehmen durch seinen Arbeitseinsatz sinnvoll unterstützen will – wer sollte da nicht zustimmen? Was auch hilft, ist die Tatsache, dass es nicht um die eigene Person geht, sondern um die Tätigkeit, die man ausübt.
4. Wer fragt, der führt
Das Wichtigste in diesem Termin ist, die richtigen Fragen zu stellen und aktiv zuzuhören. Je mehr offene Fragen man stellt, umso mehr erfährt man, was den Vorgesetzten wichtig ist und dem Unternehmen zu Erfolg verhilft.
Offene Fragen beginnen zum Beispiel so: Was an meiner bisherigen Tätigkeit hat besonders zum Erfolg der Abteilung beigetragen? In welchen Punkten benötigen Sie meine verstärkte Unterstützung in den nächsten Monaten? An welchen Parametern erkenne ich, dass mein Beitrag für die Firma Mehrwert geliefert hat?
Man sollte in diesem Termin unbedingt herausfinden, inwieweit eigene Ideen oder Vorschläge erwünscht bzw. sogar hilfreich für die Abteilung sind. Auf gut Glück viel Zeit und Mühe in Themen zu investieren, die womöglich vom Unternehmen gar nicht als bedeutend erachtet werden, ist nicht ratsam. Wer allerdings mit guten Ansätzen punktet, macht positiv auf sich aufmerksam und steigt automatisch in der Wichtigkeit für die Firma.
5. Die Kunst des Zusammenfassens
Fragen zu stellen ist eine Kunst, aber das Gehörte sinnstiftend so zusammenzufassen, dass sich unser Gegenüber nicht nur gehört, sondern auch verstanden fühlt, ist eine unglaublich wichtige Technik (die sicher auch so manche Beziehung retten kann). Laut Chris Voss zeigt sie sogar bei Verhandlungen mit Geiselnehmern ihre Wirkung. Und diese Vorgangsweise sollte man mehrfach üben, bevor man in die entscheidende Gehaltsverhandlung geht.
Was gemeint ist:
- Das Gehörte mit einem Label versehen: Ich verstehe jetzt besser, wie wichtig es für Sie ist, dass dieses und jenes gemacht wird, …
- … und dabei den Sachverhalt in eigenen Worten zusammenfassen.
- Die Zusammenfassung zumindest durch Kopfnicken bestätigen lassen – ansonsten nachfragen und korrigieren, denn idealerweise endet der Wrap-up mit einem „Das ist richtig“ des Gegenübers. Daran merken Sie: Ihr Gesprächspartner fühlt sich gehört und verstanden.
6. Den Kuchen vergrößern
Wer die obigen Tipps beherzigt, der erkennt sehr gut, inwiefern er oder sie an den richtigen Themen arbeitet und eventuell über den normalen Job hinaus Mehrwert für die Abteilung und letztlich das Unternehmen kreieren kann. Genau dieser Mehrwert vergrößert nicht nur den eigenen Einfluss in der Firma, sondern auch die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Gehaltserhöhung.
Denn mehr Gehalt bekommt man viel leichter, wenn der Arbeitgeber nicht ein Stück des Kuchens hergeben muss, sondern einen Teil des Kuchens abgibt, den man selbst durch seinen Beitrag vergrößert hat. Wer zum Beispiel den Ausschuss in der Produktion nachhaltig und deutlich über den bisherigen Standard hinaus vermindern konnte, dessen Gehaltssteigerung oder Prämie wird höchstwahrscheinlich nur einen Bruchteil der Kostenersparnis ausmachen.