Der Standard – 22.02.2022
Mehr Geld oder lieber mehr Sinn im Job?
Soll ich einen neuen Job suchen oder mit meinem Arbeitgeber verhandeln? Unsere Gehaltsexpertin gibt Tipps für mehr Zufriedenheit und Geld
Was zählt wirklich im Job? Geht es nur um ein attraktives Gehalt oder punkten die drei W: Wertschätzung und Sinnerfüllung, Work-Life-Balance und Weiterbildungsmöglichkeiten? Im Karriereforum des STANDARDS haben mehr als 1000 Leserinnen und Leser online abgestimmt und diskutiert, welche Faktoren wirklich zählen.
Und wenn man den weltweiten Studien von Facebook, Harvard Business Review, McKinsey und anderen vertraut, dann bestätigt dieser (nichtrepräsentative) Puls-Check den globalen Trend: Facebook nennt die drei für Mitarbeiterinnen wichtigsten Werte: „sense of purpose“, also Sinnerfüllung (Platz eins mit 40 Prozent), „career autonomy that gives room for learning“, also Wachstum, Weiterbildung, Lernkultur, beruflicher Freiraum, und „a sense of community and respect“, das bedeutet Wertschätzung und Teamgeist.
Zwei Fragen drängen sich auf, wenn man sich diese Auswertung ansieht. Erstens: Muss man sich wirklich entscheiden zwischen gutem Gehalt und den drei W? Zweitens: Wie kann ich herausfinden, was die nächste Stelle wirklich bietet? Und vor allem: Was ist, wenn ich alles will? Gratuliere, denn das ist das richtige Mindset, um den bestmöglichen Job zu finden! Denn gute Mitarbeiterinnen will derzeit keine Arbeitgeberin verlieren. Und wer sagt denn, dass man dafür unbedingt die Firma wechseln muss?
- Mehr Flexibilität: Manchmal genügt es, seiner Arbeitgeberin vorzuschlagen, zum Beispiel pilothaft für einen Zeitraum von sechs Monaten mehr Tage von zu Hause aus zu arbeiten mit der Bereitschaft, flexibel Tage zu tauschen, wenn wichtige Termine im Büro anstehen. Und nach dieser Pilotphase haben dann beide Seiten die Möglichkeit, nötige Anpassungen vorzunehmen. Oder man bekommt vielleicht die Möglichkeit, die 40-Stunden-Woche in vier Tagen zu erledigen.
- Mehr Weiterbildung und interessante Aufgaben: Oft entstehen spannende Projekte im Unternehmen durch einerseits unangenehme Aufgaben, die sich keiner so recht anzugehen traut, und/oder Vorschläge von Mitarbeiterinnen, an die keiner gedacht hat.
- Mehr Sinnerfüllung und Wertschätzung: Viele Führungskräfte sind nicht die geborenen Kommunikatoren – und deshalb schadet es nicht, mehr Fragen nach dem Unternehmenszweck zu stellen, inwieweit das, was die Firma macht, für die Menschheit gut sein kann – und wie die eigene Aufgabe ins Gesamtbild passt. Wer sagt denn, dass man durch gute Fragen nicht auch zu besseren betriebsinternen Abläufen kommt und die Arbeit dadurch vielleicht mehr Sinn macht
Zu mehr Wertschätzung kann man mitunter kommen, indem man sich öfter die Frage stellt, was ist gut für meine Abteilung und meine Firma, und diese Annahmen über den Mehrwert mit Vorgesetzten und dem Team verifiziert. Oft gilt die simple Formel: Mehrwert ist mehr wert. Und das kann Anerkennung, Beförderung und oder mehr Gehalt sein.- Mehr Gehalt: Wenn der Marktwert deutlich über dem eigenen Gehalt liegt, sollte man in einem eigens dafür reservierten Gespräch mit den Vorgesetzten diese Tatsache anhand von Fakten (Internet-Recherche, eventuell sogar Angebote anderer Firmen) offen ansprechen und hervorheben, wie sehr man weiter beruflich in und mit der Firma wachsen wolle und es daher wichtig sei, eine berufliche und gehaltliche Perspektive zu bekommen.
Dann gilt es, diesen Prozess selbst bis zum positiven Ende zu führen – das kann durchaus mehrere Meetings und Monate dauern, wichtig ist, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und sich nicht mit freundlichen Worten abspeisen zu lassen.Das neue Angebot prüfen
Wie kann ich herausfinden, was die nächste Stelle wirklich bietet? Das lässt sich ganz leicht checken: Eine neue Stelle bzw. neue Firma bedeutet immer neue Rahmenbedingungen, die meistens schriftlich fixiert werden – und da gehören Arbeitszeiten, Arbeitsort und Umgang mit Familie, mit Karenzen dazu. Und wenn das nicht ganz klar ist, unbedingt bei Vertragsunterzeichnung nachfragen, bevor es zu spät ist – sollte es nicht ohnehin bereits auf der Unternehmenswebseite ersichtlich sein.
Je konkreter man die künftigen Jobinhalte während des Job-Interviews durch offene Fragen abklopft, desto deutlicher zeichnet man sich als Expertin auf dem Gebiet aus und desto klarer wird es, ob man die Richtige für die Aufgabe ist bzw. wie faszinierend man die neue Tätigkeit finden wird. Wer zu diesem Zeitpunkt nicht auch konkret kritisch hinterfragt, wie es um die Weiterbildungsmöglichkeiten steht, darf sich über eine „frühe Scheidung“ nicht wundern.
Ob die Tätigkeit für einen Sinn macht und das Unternehmen Gesellschaft und Umwelt positiv mitgestaltet, kann man größtenteils durch offene Fragen im Interview, im Bekanntenkreis und via Internet-Recherche herausfinden.
Schwierig wird’s beim Thema Wertschätzung und Unternehmenskultur. Da helfen vor allem drei Dinge: Fragen, warum die Stelle nachbesetzt werden muss, idealerweise einen Schnuppertermin mit den künftigen Kolleginnen vereinbaren und das Bauchgefühl im Gespräch mit Personal und den künftigen Vorgesetzten.
Drei Binsenweisheiten zum Schluss, die man vor jedem Jobwechsel gegeneinander abwägen sollte: Geld ist nicht alles; das Gras scheint immer grüner auf der anderen Seite; nur der Wandel hat Beständigkeit.
Ein schneller Gehaltscheck:
- Unbedingt checken, ob das höhere Gehalt nur durch den Unterschied eines All-in-Vertrags gegenüber der vorherigen Position mit Einzel-Überstunden-Bezahlung zustande kommt.
- Bekomme ich etwa mehr Gehalt, weil der neue Arbeitsplatz nicht mehr so sicher ist wie der vorherige, quasi eine Risikoprämie?
- Besteht die neue Gesamtvergütung zu gleichen Teilen wie vorher aus einem fixem Basisgehalt und nichtgarantierten variablen Gehaltsbestandteilen, oder ist im neuen Vertrag der Bonus beziehungsweise die Provision anteilig höher?
- Sind die Sozialleistungen in beiden Positionen vergleichbar gut?