Der Standard – 11.09.2021
Reden ist silber, Schweigen ist Gold – der beste Zeitpunkt für die Gehaltsverhandlung
Jede*r, die einmal Gehalt verhandeln muss, ob im bestehenden Unternehmen oder beim Jobwechsel zu einer anderen Firma, fragt sich natürlich, wann und ob man idealerweise über die Gehaltserwartungen sprechen sollte.
Der klare Tipp schon einmal vorweg – auf jeden Fall muss man das Thema aktiv ansprechen und nicht einfach darauf warten, was die jetzige bzw. künftige Arbeitgeberin einem in puncto Gehalt anbietet.
Und wenn man es richtig macht, dann setzt man damit ein klares Zeichen, dass man für die Position die Richtige ist. Wer einfach ungefragt alles hinnimmt, was man ihr vorsetzt, wirkt nicht sehr überzeugend. Und welche Firma möchte schon eine Mitarbeiterin, die sich nicht couragiert für die Themen einsetzt, die ihr wichtig sind? Dieses Durchsetzungsvermögen kann man in diesen Gesprächen wunderbar demonstrieren.
Ansprechen ja, aber wann?
Wer sich bei einer neuen Firma bewirbt, wird oft entweder von einer Search Firma bzw. der Recruiting-Abteilung des Unternehmens angerufen und gefragt, welche Gehaltserwartungen man denn habe.
Und genau dann beginnt bereits das Verhandeln– aber NICHT, indem man gleich seine Gehaltsvorstellungen am Telefon bzw. online nennt, bevor man überhaupt noch weiß, ob man zueinander passt.
Nein, im Gegenteil, es beginnt damit, dass man auf die Frage nach dem Gehalt einfach nur sagt, man erwarte sich eine marktübliche Bezahlung und freue sich auf das Gespräch, um gemeinsam herauszufinden, ob man die richtige Kandidatin für das Unternehmen sei.
Wenn man trotzdem eine Zahl nennen muss – vielleicht, weil das Online-System sonst keine weiteren Eingaben zulässt, dann sollte man entweder eine Range angeben, bei der der unterste Wert dem Median des angebotenen Jobs entspricht oder bewusst den höchsten Wert der möglichen Gehaltsbandbreite als Anker setzen. Warum? – weil Firmen nur äußerst selten mehr zahlen als man gefordert hat und sich nicht scheuen, ein niederes als das geforderte Gehalt ins Spiel zu bringen.
Wer gründlich seinen Marktwert recherchiert hat und seine Leistung fürs Unternehmen entsprechend argumentieren kann, muss keine Sorge haben, zu fordernd zu wirken.
Auch im bestehenden Job fällt man nicht mit der Tür ins Haus, sondern macht sich mit der Vorgesetzten einen circa einstündigen Termin aus, in dem man über die berufliche Entwicklung im Unternehmen sprechen will.
Wann sollte dieses Gespräch stattfinden: rechtzeitig vor der nächsten Gehaltsanpassungsrunde im Unternehmen und idealerweise dann, wenn man den Mehrwert, den man für sein Unternehmen bietet, anhand von Leistungen vorweisen kann.
Strategisches Vorgehen und eine Portion Geduld bei Gehaltsfragen zahlen sich immer aus.
Im Interview selbst kann man sich bei der neuen Arbeitgeberin durch spannende Fragen zum Aufgabenbereich als zukünftige Mitarbeiterin positionieren, die ihr Wissen, ihre Erfahrung und frische neue Ideen nutzbringend einsetzen wird, um engagiert die neuen Aufgaben voranzutreiben.
In der bestehenden Firma bereitet man sich auf das Gespräch mit seiner Vorgesetzten gründlich vor und streicht den Nutzen hervor, den man für die Position über seine normale Stellenbeschreibung hinaus in den letzten sechs bis zwölf Monaten erbracht hat. Man stellt zum Beispiel seine Ideen vor, wie man die Prozesse weiter optimieren könnte und fragt seine Vorgesetzte, inwieweit sich das mit ihren Vorstellungen deckt. Aktiv spricht man an, dass man bereit ist, eine nächsthöhere Verantwortung zu übernehmen und fragt, welche Schritte man noch setzen müsse und welcher Zeitrahmen realistisch erscheine. In kleineren Unternehmen mag es keine weitere Karrierestufe geben, aber zum Beispiel die Übernahme eines für das Unternehmen wichtigen Projektes rechtfertigt ebenfalls eine Steigerung der Gesamtvergütung – vielleicht nicht im Grundgehalt aber durch einen höheren Bonus.
Wann wirkt man womöglich unverschämt?
Oft hat man Angst, mühsam zu wirken, wenn man all diese Fragen stellt – aber wie so oft im Leben: der Ton macht die Musik und offene Frage nach den fürs Unternehmen wichtigen Themen zeigen nur, dass man bereit ist, sich möglichst schnell zu integrieren und mittel-bis langfristig wirklich dazuzugehören bzw. weiter mit dem bestehenden Unternehmen zu wachsen.
Wer Sorge hat, er könne durch seine Fragen zu forsch wirken, der möge sich bitte überlegen, ob er nicht auch lieber zu einer Ärztin geht, die möglichst viele Fragen stellt, bevor sie eine Therapie verschreibt?
Sowohl im Jobinterview mit der neuen Firma als auch während des Entwicklungsgesprächs im bestehenden Unternehmen kann es zu einer zweiten Runde kommen, bevor es ums Gehalt und weitere vertragliche Details geht. Schließlich wollen sich beide Seiten sicher sein, dass man bei diesem wichtigen Schritt zueinander passt
Bei Vertragsabschluss bzw. der Beförderung
Wenn die Firma sich dann – wenig überraschend – für diese engagierte Kandidatin bzw. für deren Beförderung entscheidet, wenn wundert’s, dass man durchaus 5-10% mehr Gehalt als den marktüblichen Mittelwert für die Position und das eine oder andere Benefit verlangen kann?
Und sollte man noch zu wenig Berufserfahrung in dem geforderten Bereich haben und noch viel lernen müssen, dann liegt vielleicht das Einstiegsgehalt unter dem Median, aber man kann höchstwahrscheinlich bereits im Vertrag die nächste Gehaltserhöhung – nach der 6-12-monatigen Einarbeitungszeit – aushandeln.
Eines ist sicher, was man gleich vor Antritt des Jobs verhandelt und vertraglich festlegt, ist viel einfacher zu erreichen als nachträgliche Forderungen: auch bei internen Beförderungen gilt, mündliche Vereinbarungen zu Vertrag, Gehalt und etwaigen Sozialleistungen schriftlich festhalten – auch wenn sie vielleicht erst nach einer gewissen Anlaufzeit schlagend werden.
Martina Ernst hat nach ihrer Tätigkeit als Personalchefin der Erste Bank die Gehalts-Beratungsfirma www.salarynegotiations.at gegründet und ist Präsidentin des WU Executive Academy Female Leaders Netzwerks mit 1500 Alumnae.