derStandard 24-08-23 Gastbeitrag

Die geheimen Spielregeln beim Gehalt

 

Im Spätsommer und Herbst werden die Gehaltsbudgets fürs nächste Geschäftsjahr geplant …

Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollte man sich mit seiner Führungskraft einen Termin ausmachen, wenn man der Meinung ist, dass sich zumindest im neuen Jahr etwas beim Gehalt bewegen sollte  – zusätzlich zur kollektivvertraglichen Regelung. Vielleicht ist ja der eigene Verantwortungsbereich seit der letzten individuellen Gehaltsanpassung deutlich grösser geworden? Vielleicht leitet man ein wichtiges Projekt oder hat die Betreuung größerer Kundinnen übernommen? Oder man ist mittlerweile sogar für andere Kolleginnen verantwortlich?

 

Alles gute Gründe für einen gesteigerten Marktwert, der auch intern honoriert werden sollte.

 

 …und jetzt werden auch etwaige Bonus-Töpfe konkretisiert, die im Folgejahr ausgezahlt werden

Sollte der eigene Verantwortungsbereich gleich geblieben sein, dann muss man sich auf jeden Fall die eigene erbrachte Leistung und die seines Teams anschauen und den Vorgesetzten in Erinnerung rufen, welchen Mehrwert man bisher für die Firma geleistet hat, denn Unternehmen, die am Ende des Geschäftsjahres Bonus ausschütten, machen oft die Zahlung an der Leistung der Teams bzw. einzelner Mitarbeitenden fest.

Vielleicht konnte man die Qualitätsstandards deutlich verbessern, einen mühsamen Prozess für alle vereinfachen, wichtige Kundinnen dazu gewinnen?

 

Kennen meine Vorgesetzten mein Engagement nicht?

Wieso sollten sich die Mitarbeitenden die Mühe machen, ihren Vorgesetzen den gestiegenen Verantwortungsbereich oder den geleisteten Mehrwert in Erinnerung zu rufen? Warum der ganze Aufwand: Schließlich ist es die ureigenste Aufgabe einer Führungskraft, die Mitarbeitenden zu fordern und zu fördern  – und dazu gehört nun einmal die Anerkennung der Leistung und eine marktübliche Entlohnung. Und wer verkauft sich schon gerne selbst?

 

Leider zeigt die Realität allzu oft ein anderes Bild: da wird die Mitarbeiterin, die sich zur Jahresmitte in den Mutterschutz verabschiedet hat, bei der Bonuszahlung im Folgejahr schlicht vergessen – als hätten sie nie im Unternehmen gearbeitet. Die Mitarbeitenden, die am lautesten aufschreien, schneiden oft besser ab – und besonders günstig trifft es in vielen Fällen die, die auch privat mit der Führungskraft befreundet sind oder eine wichtige ranghöhere Sponsorin im Unternehmen haben. Wer ganz still und fleißig nur seinen Beitrag leistet, wird oft einfach übersehen.

 

Ob sich Unternehmen diese Vorgehensweise in einem Arbeitnehmerinnen-Markt mit akutem Arbeitskräftemangel künftig noch leisten können?

 

Mein Gehalt – eine Abhängigkeit auf Gedeih und Verderb?

Befragungen zu Gehaltsprozessen im Unternehmen zeigen nur zu oft: während manche Teams top zufrieden sind, sich beruflich sowie gehaltlich entwickeln können,  sind andere in hohem Maße frustriert, wechselwillig bzw. stehen kurz vor der Kündigung. Wie kann das sein, wo doch beide Teams im gleichen Unternehmen arbeiten und die gleiche Firmenkultur für das ganze Unternehmen propagiert wird?

 

Ganz einfach, viele Unternehmen entwickeln zwar ihre Führungskräfte weiter – aber führen keine ‚Peer Evaluierungen‘ durch, d.h. die Beurteilungsfähigkeit der Führungskräfte ‚Silo‘-übergreifend auf den Prüfstand zu stellen und die Evaluierungen über die eigene Abteilung hinaus mit Kolleginnen abzugleichen. Durch so einen Prozess würde schnell klar werden, dass es in einem Team lauter Stars und in einem anderen vergleichbaren Team nur Mittelmaß gibt. Spätestens dann wird deutlich: das liegt nicht an der ungünstigen Verteilung der Mitarbeitenden, sondern an der Urteilsfähigkeit der Vorgesetzten.

 

Transparenz beim Tabu-Thema Gehalt?

Die neue EU-Richtlinie zu Gehaltstransparenz und Equal Pay vom Mai 2023 wird zwar erst in drei Jahren schlagend und trotzdem ist die Richtung klar: gleiches Gehalt für gleiche Funktion mit vergleichbarer Leistung kann eingefordert werden und künftig liegt die Beweislast bei der Arbeitgeberin. Und wenn man als Unternehmen diese Transparenz ernst nimmt, dann ist es ratsam, mit seinen Teams gemeinsam über Faktoren zu sprechen, die die Gehaltsfindung beeinflussen – oder sie im Idealfall sogar gemeinsam zu definieren.

 

Was ist so schlecht daran, wenn Mitarbeitende verstehen, welche Gehälter für welche Funktionen am Markt gezahlt werden, wann und wofür es Gehaltserhöhungen und/oder Bonuszahlungen gibt, und wie die Firma damit umgehen will, dass man den Neu-Einstiegen womöglich deutlich mehr zahlen muss als den bestehenden Mitarbeitenden. Eine schrittweise Anpassung der engagierten bestehenden Belegschaft ist sicher viel günstiger, als die Suche und Einarbeitung neuer Personen – ganz zu schweigen vom Knowhow-Verlust bei hoher Fluktuation.

 

 

Ich würde Dir so gerne mehr Gehalt zahlen, aber die Personalabteilung lässt mich nicht

Ein absoluter Klassiker vieler Führungskräfte  – nicht nur in Österreich-, wenn es darum geht, den Wunsch nach einer Gehaltserhöhung von sich zu weisen.

Aber Achtung: in den meisten Fällen ist HR zwar für die grundlegenden, unternehmensweiten Rahmenbedingungen in puncto Gehaltsprozesse zuständig, aber wer tatsächlich mehr oder weniger bekommt, entscheidet de facto fast immer die direkte Führungskraft.

 

Ein Miteinander mit gelebter Feedback-Kultur tut auch dem Gehalt gut

Und damit kommen wir zu einem ganz heiklen Punkt, der beim Thema Gehalt oft übersehen wird:

Als Führungskraft Farbe bekennen und ein klares Feedbackgespräch führen heißt in erster Linie: sich als Führungskraft Zeit nehmen, nachvollziehbare, transparente Ziele zusammen mit den Teams definieren, das Engagement seiner Mitarbeitenden als Team-und Einzelleistung kennen, wertschätzen und gemeinsam besprechen.

Und was spricht dagegen, diesen Prozess weitestgehend im Team zu gestalten, denn die Zeiten, in denen die Führungskräfte wie ‚einsame Wölfe‘ alle Entscheidungen alleine treffen mussten, sind längst vorbei. Viele Start-Ups und kleinere Unternehmen leben längst eine partnerschaftliche Zusammenarbeit in Gehaltsfragen vor – und dieses Thema ist sicher nicht ein Grund für ihren wirtschaftlichen Erfolg bzw. Misserfolg – im Gegenteil, es fördert ein Miteinander auf Augenhöhe und ermöglicht viel eher den Dialog über wirtschaftlich notwendige Maßnahmen im Unternehmen.

 

Martina Ernst ist ehemalige Personalchefin der Erste Bank, Gründerin der Gehalts-und Karriere-Beratungsfirmen www.salarynegotiations.at , www.fairandequalpay.com und www.colourfulcareer.com und Career Partner sowie Lehrgangsleiterin an der WU Executive Academy

 

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