derStandard 31-10-22 Gastbeitrag

Gedanken rund um die KV-Verhandlungen

Lassen Sie mich Franz Kuehmayer, einen der bedeutendsten Zukunftsforscher Europas, zitieren: „Führungsarbeit ist wirkmächtige Arbeit (nicht allmächtig, aber auch nicht ohnmächtig).

Positive Führungsarbeit bedeutet, diese Wirkmacht auf positive Abweichungen zu konzentrieren, und damit einen Beitrag zu gelingendem Leben zu leisten.“

Und in diesem Zusammenhang zeigt Kuehmayer eine Chart mit einer Normen-Skala von der Defizit- hin zu einer Überfluss- Orientierung und bringt die interessante Steigerung: „unprofitabel – profitabel -großzügig“

Großzügig“ – als Forscher tut man sich da leicht, wird sich jetzt ein Unternehmen denken, das im derzeitigen Tsunami zwischen Pandemie, Rohstoffknappheit, Ukraine-Krieg, Energiekostenkrise, Transformationsdruck und Fachkräftemangel nicht mehr weiss, wo der Kopf steht.

Und da verwundert es nicht, dass die derzeitigen KV-Verhandlungen sich so zäh gestalten.

Nur, wer die Zukunft erfolgreich gestalten will, muss sich nichtsdestotrotz überlegen, wie man die besten Köpfe bekommen und halten kann. ‚Employee Experience‘ ist das neue Zauberwort, das seit einigen Jahren die CEOs und HR-Abteilungen beschäftigt. Wie kann man die Erfahrung, die Kandidatinnen und Mitarbeiterinnen im Unternehmen machen, nachhaltig optimieren?

Moments that matter“ was für Mitarbeiter*innen wirklich zählt

Große Unternehmen wie die SAP AG haben sich lange und fast wissenschaftlich damit beschäftigt, welche Momente im Lebenszyklus einer Mitarbeiterin die Loyalität und letztlich auch das Engagement stärken oder schwächen: was wirklich zählt, ist die Art und Weise, wie mit einer Mitarbeiterin in Momenten umgegangen wird, in denen sie sich besonders verletzlich fühlt:

beim Start an einem neuen Arbeitsplatz,

bei der Ankündigung der Schwangerschaft bzw. der Verabschiedung in die Eltern- oder Pflegekarenz,

wenn man Leistung, Karriere oder Gehalt verhandelt und,

wenn man das Unternehmen verlässt/verlassen muss.

Die Behandlung in diesen Momenten brennt sich in das Gedächtnis und trägt entscheidend zur eigenen Arbeits-Einstellung bei.

„Quiet Quitter“ und Jobwechsel-Willige sind auf dem Vormarsch

Als Arbeitgeberin muss man sich fragen, was schlimmer ist, eine Belegschaft, die nur Dienst nach Vorschrift macht oder insgeheim schon überlegt, wann sie zur nächsten Firma abwandert.

In TikTok grassiert gerade ein Hype: „Act your wage“, der Menschen dazu auffordert, sich genauso zu verhalten, wie sie bezahlt werden!

Und aktuell sind 46 Prozent offen für einen neuen Job oder haben sogar bereits konkrete Schritte in die Wege geleitet.

Unter den 30- bis 39-Jährigen ist der Anteil an Wechselwilligen besonders hoch – 53 Prozent sind bereit, zu einem neuen Arbeitgeber abzuwandern.

Knapp die Hälfte aller befragten Arbeitnehmer*innen – nämlich 48 Prozent – haben 2021 bei einer repräsentativen österreichweichweiten Marketagent-Studie im Auftrag von karriere.at angegeben, dass ein höheres Gehalt für sie der Hauptgrund wäre, ihren Job zu wechseln – noch vor mehr Anerkennung auf Platz zwei und einer besseren Work-Life-Balance auf dem 3. Platz.

„Fürsorge statt Feilschen“  ist das Gebot der Stundeaber wie?

Bei einem österreichischen Median-Gehalt von 44.500 Euro pro Jahr (inklusive Sonderzahlungen und Boni, laut StepStone Gehaltsreport 2022) vergisst man leicht die Niedrigverdienerinnen, die angesichts der explodierenden Energie- und Lebensmittelkosten oft nicht mehr wissen, wie sie ihr Leben finanzieren sollen. Da sind klare Zeichen der Geschäftsführung gefordert, denn ein Unternehmen ist letztlich eine Gemeinschaft, die nur so stark ist wie ihr schwächstes Glied.

Und vielleicht sind genau die heutigen Krisenzeiten der richtige Moment, sich nach neuen Wegen in der Vergütung umzusehen.

„Fairness und Flexibilität“ sind die neue Währung

Wenn klar ist, dass alle Aussagen rund ums Gehalt zu den ‚moments that matter‘ gehören, dann ist es für die Identifikation mit dem Unternehmen nicht dienlich, wenn man die eigene Arbeitgeberin als zu wenig großzügig oder zu starr erlebt.

Und es ist auch nachvollziehbar, dass Unternehmen diesen Moment der Gehaltsanpassung nicht mit der Gießkanne für alle gleich gestalten sollten.

Es wäre schön, wenn diese Erkenntnis stärker Einzug in die KV-Verhandlungen finden würde zum Beispiel in Form von Wahlmöglichkeit zwischen einem zusätzlichen Urlaubstag versus einer Gehaltsanpassung –

‚Customizing‘ nicht nur in der Industrie, sondern auch in der Vergütung.

Spannend in diesem Zusammenhang sind Bemühungen großer Konzerne wie Unilever, die flexible Vergütungspakete anbieten mit dem Ziel, dass sich jede Mitarbeiterin selbst ihr Paket schnüren kann (uFlexReward), oder Cafeteria-Systeme, die zumindest bei den freiwilligen Sozialleistungen, den Benefits, Auswahlmöglichkeit bieten.

‚Tabu ist Tabu‘

Abholen und langfristig gewinnen kann ich als Unternehmen meine Belegschaft nur, wenn ich sie in meine Überlegungen einbeziehe. Dazu gehören standardmäßig Umfragen, Fokusgruppen, offener Austausch zu allen Fragen rund ums Gehalt und der gemeinsame Blick auf die wirtschaftlichen Herausforderungen und Chancen. Was kann schon passieren, wenn’s heiß hergeht – nichts! Dann weiß die Firma wenigstens, woran sie ist, und wie sie Loyalität und Engagement verbessern kann, um gemeinsam die Zukunft erfolgreich zu gestalten.